AM ANFANG WAR BEWEGUNG

SOLO von Elsa Perry wurde Bild für Bild aus Fotos der berühmten gleichnamigen Tanzperformance von William Forsythe aus dem Jahr 1995 und Zeichnungen erstellt.

Hektik einer sich rasant verändernden Welt

In den ersten Bildern des Kinos war die Hölle los. Züge fuhren in Bahnhöfe ein, Arbeiter:innen verließen Fabriken, Jungs wurden durch den Garten gejagt, weil sie kurz zuvor auf Gartenschläuchen standen. Die bis heute erhalten gebliebenen vermeintlich ersten Filmaufnahmen der Geschichte sind voller Aktion und Attraktion.

Dies lässt sich einerseits auf den Ursprung des Kinos als Jahrmarktereignis zurückführen, ist jedoch insbesondere Resultat einer Erfordernis des Experiments Film in Abgrenzung zu anderen Künsten: Erst in der Wiedergabe von Bewegung und der daraus entstehenden Action konnte das neue Medium seine Faszination herstellen. Zugleich ist die Bewegung im frühen Kino Ausdruck radikaler gesellschaftlicher Veränderungen und Beschleunigungen.

Bewegung aus dem Stand

Doch so sehr wir uns an das Jahr 1895 als Geburtsstunde des Films gewöhnt haben, so einschränkend ist die Festlegung auf ein konkretes Datum. Denn das Abbilden von Bewegung und der Wunsch in Bewegungsabläufe hineinschauen zu können, war schon lange vor dem Kino eine Triebfeder für die Künste.

So können die Höhlenmalereien in der Grotte von Chauvet vor etwa 30.000 Jahren nicht nur als früher Beleg des Geschichtenerzählens in der menschlichen Kultur, sondern zugleich als Ausdruck des Versuchs, Bewegung einzufangen, gelesen werden: In vollkommener Dunkelheit malten die Menschen der Steinzeit Jagdszenen auf die Wände. In einigen sind sogar Tiere in unterschiedlichen, sich überlappenden Bewegungsphasen oder mit acht Beinen zu sehen. Mithilfe einer flackernden Lichtquelle, den entstehenden Schatten und der Struktur der Wände beginnen die Bilder beim Betrachten zu pulsieren. Es entsteht der Eindruck von Räumlichkeit und Bewegung der Tiere.

Seit der Antike wurde die camera obscura, die nicht mehr als ein Loch in der Wand eines dunklen Raumes oder Kastens darstellt, erforscht. Quasi als umgekehrte Variante war die laterna magica seit dem späten 18. Jahrhundert mit ihren Glasplatten und beweglichen Bildelementen ein Vorläufer der Kinoapparatur.

Und in den Chronofotografien eines rennenden Pferdes (1878) von Eadweard Muybridge, die eigentlich nur Teil einer Wette waren (in der es darum ging festzustellen, ob das Pferd im Galopp zu irgendeinem Zeitpunkt alle Hufe vom Boden hebt), lernten die Einzelbilder langsam das tatsächliche Laufen.

Die Besonderheit des Films liegt jedoch nicht nur in der Abbildung einer Bewegungsillusion begründet, sondern vor allem darin, dass Bewegung als Möglichkeit der Beschleunigung und Verlangsamung zu sehen ist.

Tanzt, sonst sind wir verloren!

Seit es das Kino gibt, wird im Film getanzt. In den ersten erhaltenen Filmaufnahmen, die Louis Le Prince 1874 anfertigte, ist in einer gerade einmal drei Sekunden dauernden Sequenz ein tanzendes Paar im Garten der Familie Whitley zu sehen.

Es besteht eine zarte Verwandtschaft zwischen dem Bild und der Bewegung, weil beides ohne die Sprache auskommt und dadurch erst wirkt. Und doch ist da auch eine leise Opposition. Die Suche nach geometrischer Strenge der Kamera und Unmittelbarkeit der körperlichen Erfahrung lassen Welten aufeinander prallen.

Von dieser Spannung und von der Geschichte der Bewegung in den Künsten erzählt auch Elsa Perry in ihrem Kurzfilm SOLO, der mit seinen Einzelbildern an Eadweard Muybridge erinnert, zwischen Bewegung und Stillstand zu vermitteln sucht und die Dynamik der Bewegung im Film mithilfe schwungvoller Animationen zu betonen versucht. Jede Bewegung ein Ringen mit der Starre und den Bedingungen des Lebens.
 

SOLO | Frankreich 2021
Regie/Drehbuch/Animation: Elsa Perry
Bildgestaltung: William Forsythe
Musik: Cédric Schönwald

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